Jugend und der demographische Wandel in Brandenburg
Eines soll hier gleich vorneweg gestellt werden: Jungsein im biologischen Sinne wird im Land Brandenburg perspektivisch eine Seltenheit. Wer beispielsweise im Jahr 2040 einen längeren Spaziergang durch die uckermärkische Industrieperle Schwedt machen wird, dem werden ca. neun Kinder über den Weg laufen und gleichzeitig 38 Rentner. So die Prognose. 1970 war das Verhältnis umgekehrt. Von 100 EinwohnerInnen waren 35 Kinder und nur 5 im Rentenalter.
Wir haben es mit einem demographischer Wandel zu tun, der sich so ähnlich in allen westlichen Industrienationen abzeichnet. Geringe Geburtenraten und längere Lebenszeiten bewirken ein Älterwerden der Gesellschaft. In Brandenburg erfährt dies allerdings eine spezifische Ausformung. Darauf wird im Folgenden eingegangen.
Demographischer Wandel basiert auf zwei Faktoren:
einerseits der natürlichen Bevölkerungsveränderung, also dem Saldo der Geburten- und Sterberate und andererseits der Wanderungsbewegungen, dem Saldo der Zu- und Wegzüge.
Die Geburtenrate hat in Brandenburg gegenüber den 70er und 80er Jahren (zwischen 2200 und 1500 Geburten je 1000 Frauen) rapide abgenommen. Mit ca. 700 Geburten je 1000 Frauen (Geburtenrate von 0,7) gab es 1993 in allen sog. Neuen Bundesländern die weltweit (!) niedrigste jemals erfasste Geburtenrate. In einigen Regionen lag sie noch darunter. Bis 2003 pegelte sich die Rate in Brandenburg bei ca. 1,2 ein. Eine natürliche Reproduktion der Bevölkerung liegt bei einer Geburtenrate von 2,13. Nimmt man die Sterbefälle hinzu, so verliert Brandenburg auf natürlichem Wege (geringe Geburtenrate und Gestorbene) jährlich zwischen 8.000 und 15.000 EinwohnerInnen.
Interessanterweise fallen die Wanderungssalden nicht so negativ aus. Insbesondere Zuzüge Anfang der 90er aus dem Ausland halten trotz immenser Abwanderungen in die Alten Bundesländer die Bevölkerung stabil. Der Wegzug nach Westdeutschland läßt bis Ende der 90er stark nach, um ab 2000 wieder anzusteigen und im Jahr 2003 sogar die Abwanderungsrate von 1993 zu überbieten.
Ende der 90er, nach Verschärfung der Asylgesetzgebung von 1993, sind die Zuzüge nicht mehr aus dem Ausland sondern hauptsächlich Berliner, die sich im sog. engeren Verflechtungsraum ansiedeln. Hier wird ein regionales Problem deutlich. Brandenburgs infrastrukturelle Teilung in einen berlinnahen "engeren Verflechtungsraum" und den von Berlin aus weiter entfernten "äußeren Entwicklungsraum". Ein Begriff der Entwicklungsabsicht suggeriert, obwohl es sich angesichts der Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung eindeutig um einen "Abwicklungsraum" handelt. Der "äußere Entwicklungsraum" verliert durch Abwanderung ständig Menschen, während in berlinnähe die Abwanderung durch Zuzug mehr als ausgeglichen wird. So gewinnt die Stadt Falkensee, westlich von Berlin Spandau gelegen, bis zu 40% Neubürgerinnen. Aber das ist eine seltene Ausnahme.
Die Daten des Referats Raumbeobachtung des Landesumweltamtes Brandenburg weisen für die Altersgruppe der 20-25 Jährigen in den Jahren zwischen 1993 und 2001 eine Abwanderung per Saldo (also die Zuwanderungen Gleichaltriger sind schon gegengerechnet) von fast ca. 40.000 Personen auf.
Auffallend ist, dass der Anteil der 15 bis 26 jährigen Frauen dabei besonders hoch ist. So verstärkt die Abwanderung junger Frauen die natürliche Bevölkerungs(rück)entwicklung.
Insgesamt sind vom Bevölkerungsverlust, sowohl durch Wanderungsbewegungen als auch auf natürlichem Weg, die kreisfreien Städte Frankfurt/Oder, Brandenburg/Stadt und Cottbus sowie Städte mit über 20.000 EinwohnerInnen besonders betroffen: Schwedt und Guben haben von 1991 bis heute bis zu 30% Bevölkerung verloren. Ähnlich stark betroffen mit Verlusten von 10-20% sind Wittenberge, Eberswalde, Lauchhammer, Senftenberg oder Finsterwalde.
Die derzeitigen Prognosen für die Zeiträume bis 2040 gehen von noch großzügigeren Entvölkerungen aus. So wird für Wittenberge im Jahr 2040 gegenüber 2002 ein Rückgang der EinwohnerInnenzahl um 48% prognostiziert, für Guben 45%, Schwedt 44% oder Lauchhammer 43%. Aber auch Städte im engeren Verflechtungsraum werden an EinwohnerInnenzahl erheblich verlieren: Hennigsdorf, Strausberg und Wandlitz ca. 26%, Bernau und Werder (Havel) ca. 20% oder beispielsweise Oranienburg ca. 17 %.
Der Bevölkerungsrückgang, bleiben die Trends so wie in den letzten Jahren beobachtet -und davon ist zumindest bei der natürlichen Bevölkerungsentwicklung sicher auszugehen- wird allumfassend und unübersehbar sein.
Und die Anzahl der Kinder und Jugendlichen?
Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren, so wird prognostiziert, liegt im Jahr 2010 nur noch bei ca. 171.000 - im Gegensatz zu ca. 328.000 im Jahr 2002.
Die Anzahl der 12 bis 21 jährigen verringert sich ebenso bis 2010 auf ca. 143.000 im Gegensatz zu fast 254.000 im Jahr 2002. Noch dramatischer ist der Trend in der Region "Äußerer Entwicklungsraum". Hier beträgt der Rückgang der 12-21 Jährigen von 2002 zu 2015 von 209.000 auf 92.000. Das heißt, wir werden Städte und Gemeinden haben, wo durchschnittlich 60% weniger Jugendliche leben werden. In einigen Fällen werden es 100% sein.
Nimmt man die Anzahl der Kinder als Indikator für Zufriedenheit und Zukunftsvertrauen in einer sog. modernen Gesellschaft - dann finden wir in Brandenburg eine Bevölkerung vor, die eindeutig kein Vertrauen in die jetzt hier herrschenden ökonomischen und sozialen Verhältnisse hat.